Ohne Inhalt – eine Replik auf Gauland

Einen großen Aufschrei zog die Veröffentlichung eines Meinungsstücks des AfD-Vorsitzenden Gauland in der ehrwürdigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach sich. Von Vertretern eines klar linken Milieus auf Twitter, für die die FAZ selbst an besseren Tagen eigentlich nur ein auf intellektuell getrimmtes Propaganda-Blättchen für böse Konservative ist, kommt scharfe Kritik: Mit dieser Veröffentlichung legitimiere man den Rechtsradikalismus der AfD! Es entstünde gar der Eindruck, dass diese Partei gesellschaftlich akzeptiert sei.

Nun darf man einer Partei, die an der Seite von Straftätern wie Lutz Bachmann “Trauermärsche” vollzieht, in deren Windschatten sich Neonazis tummeln und Ausländer durch die Straße jagen, mit Fug und Recht eine gewisse Entfremdung zum freiheitlich-demokratischen Konsens unserer Gesellschaft attestieren. Herr Gauland reitet auf und orchestriert sehenden Auges diese Welle von Verfassungsfeinden, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen “Systemwechsel“. Die AfD ist von rechtsradikalen Strukturen durchwuchert und man muss es Alexander Gauland persönlich zum Vorwurf machen, dass er diese Kräfte in seiner Partei gewähren lässt. So weit, so richtig. Muss man diesem Mann also eine Bühne geben? Nein. Aber es gibt auch keinen zwingenden Grund, es nicht zu tun.

Die FAZ publizierte nämlich schon Texte manch kontroverser Persönlichkeit, wie zuletzt des türkischen Autokraten Erdogan, der  deutsche Journalisten unter windigen Ausreden in seine Gefängnisse wirft, um sie als politisches Faustpfand zu missbrauchen. Man könnte also auf den Gedanken kommen, dass es durchaus konsequent ist, Herrn Gauland an gleicher Stelle zu Wort kommen zu lassen. Schließlich legen seine Äußerungen nahe, dass er in Deutschland gerne ähnlich mit missliebigen Meinungen verfahren würde. 

Doch was hat er uns zu sagen, dieser Mann des Tabubruchs und enfant terrible unter den deutschen Parteivorsitzenden? Nun, zunächst unternimmt er einen kleinen Exkurs in die Definition des Populismusbegriffs, um schließlich zu konstatieren, dass die AfD selbstverständlich keinen Alleinvertretungsanspruch für “das Volk” habe und demokratische Prozesse respektiere. Dass diese Aussage im krassen Widerspruch zum Auftreten diverser AfD-Politiker steht, geschenkt. Aber Gauland führt nicht eine einzige argumentative Unterfütterung für diesen Punkt an – er behauptet einfach, dass es so sei. Und hofft vielleicht, dass seine langatmige Hinleitung darüber hinwegtäuscht. 

Im weiteren Verlauf brüht der Mann dann eine völlig beliebige Eliten-Kritik nach vorhersehbarem Muster auf, die er an der digitalen Boheme und urbanem Leben festmacht, zu dem angeblich der Zugang für viele versperrt sei. Inwiefern das Erlernen einer Fremdsprache, der Umzug in eine Großstadt oder das Benutzen von Alltags-Technologie nun eine andere Hürde darstellt als andere grundsätzliche Entscheidungen und Handlungen im Leben eines selbstbestimmten Erwachsenen? Die Antwort bleibt Gauland uns schuldig. Ebenso gut hätte er kritisieren können, dass nicht jeder Deutsche ohne eigenes Zutun einen Partner fürs Leben findet oder fünf Orangen gleichzeitig jonglieren kann. Die glücklich verheirateten Orangenjongleure wären wenigstens – anders als “Globalisten” – kein bekanntes Chiffre für die ewigen Klischees der jüdischen Weltverschwörung. Ob beabsichtigt oder nicht: Der schale Beigeschmack der Begriffswelten der “alt right” bzw. neuen Rechten macht aus der Beliebigkeit Gaulands futterneidender Eliten-Kritik eine durch und durch unappetitliche Angelegenheit. 

Zum Schluss zieht der AfD-Vorsitzende noch einmal alle Register der Demokratie-Buzzwords: Freiheit, Rechtsstaat, soziale Sicherheit – diese seien durch das Weltbürgertum bedroht. Vermutlich hielt er es für einen findigen Kniff, den fundamentalen Egoismus seiner Bewegung anzuerkennen, um dann den seiner aus billigen Klischees zusammengestoppelten Feindbilder als viel perfider darzustellen. Warum das so ist? Wieder unklar. 

Die Probleme, die mit der Migration einher gehen, sind unstrittig. Sie zu lösen, ist eine große Aufgabe, vor der insbesondere die CDU-geführte Regierung viel zu lange die Augen verschlossen und einen schlanken Fuß gemacht hat. Es stimmt, dass radikale Islamisten unsere Gesellschaft ebenso bedrohen wie Links- oder Rechtsextremisten. Das sind alles Dinge, über die es gleichzeitig zu keinem Zeitpunkt in den letzten vier Jahren ein Denk- oder Sprechverbot gab, wie sich an den zahlreichen kontroversen Äußerungen zu diesen Themen dokumentieren lässt. Die Unzufriedenheit eines Alexander Gauland, dass seine Sicht und die seiner Wähler so offensichtlich nicht mehrheitsfähig ist, nun in eine Neid-Debatte über “Eliten” zu rühren, deren Zugehörigkeit auf freie Entscheidung über den eigenen Lebensweg gründet, zeichnet ein bekanntes Bild vom Frontmann der AfD: 

Wie zuletzt in seinem inhaltsleeren Sommerinterview zu beobachten, spricht dort ein abgehalfterter, ideenloser Konservativer. Er hat keine Lösungen und auch sonst scheinen ihn die wirklichen Probleme unserer Zeit zu überfordern, weshalb er ihre Prämissen infrage stellt. Globalisierung und Digitalisierung lassen sich allerdings ebenso wenig im Bundestag aus der Realität verbannen wie der Klimawandel oder der Regen in der Heimat an einem Sonntag im Herbst. Dass es ihm nicht einmal gelingt, in der Schriftform einen wirklich klaren Leitgedanken zu fassen und es gerade mal zu einer lauen Beschwörung eines Wir-Gegen-Die reicht, ist das gedruckte Zeugnis der politischen Insolvenz des Alexander Gauland und seiner Partei. Insofern darf man sich bei der FAZ für den Druck bedanken. Und sie ein bisschen bemitleiden. Denn so einen schlechten Text hat diese Zeitung nicht verdient. Das sollte man sogar als taz-Abonnent anerkennen können. 

Ohne Hass und ohne Haltung

Unter dem Motto “Leben ohne Hass” fand in in Cottbus eine Gegendemonstration zu der Veranstaltung der „Zukunft Heimat e.V.“ statt. Die Eindrücke anhand eines Videos lassen allerdings Befremden aufkommen. Ein Plakat bezeichnet Alexander Gauland als “Nazi-Opa” und fordert ihn auf, sich zu “verpissen”. Über die ideologische Nähe eines nicht geringen Teils der AfD zu den Nationalsozialisten muss man nicht streiten. Herr Gauland hat in der Vergangenheit nicht erkennen lassen, dass er willens wäre, diese Umtriebe zu unterbinden. Ihn deshalb derartig zu verunglimpfen zeigt allerdings eine sehr unangenehme Parallele auf:

Ähnlich zugespitzte Titulierungen kennt man sonst von den unsäglichen Pegida-Veranstaltungen, bei denen Politiker aufs Übelste beschimpft und verleumdet wurden. Dies sind wüste Entgleisungen, die Respekt und Anstand einer beinahe animalischen Rohheit opfern. Verbale oder bildhafte Aggression als infantiles Ventil für Frust und Zorn. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin dankbar für jeden Meter, der zwischen mir und Herrn Gauland liegt. Ich halte ihn für einen unmoralischen Menschen, der Positionen in Schutz nimmt oder gar propagiert, die ich aus meiner persönlichen Überzeugung heraus zutiefst verachte. Trotzdem käme es mir nicht in den Sinn, ihn aufzufordern, sich zu “verpissen”. Ist sowas eigentlich schon Hass? Wenn Unflätigkeiten gegen Politiker montags in Dresden es sind, dann müssen sie dies auch an einem Samstag in Cottbus sein.

Auch muss man sich die Frage gefallen lassen, wie sich jemand ohne Hass zu dem Sprechchor “Feuer und Flamme den Abschiebe-Behörden” versteigt. In diesen Behörden arbeiten Menschen. Was unterscheidet das Anzünden einer Asylunterkunft von der Brandstiftung in einer Behörde? Nur die Gruppe derer, denen durch die Willkür radikaler Agitatoren das Recht auf körperliche Unversehrtheit abgesprochen wird. Wer solche Leute in der eigenen Demo toleriert, kann für das edelste Anliegen antreten und hat doch schon verloren. Insbesondere da, wo solche Auftritte die gesamte Prämisse der Veranstaltung ad absurdum führen. Mit Hass für ein Leben ohne Hass? Toller Spruch.

Dass diese Art der Positionierung gegen Rechts ein klares Eigentor ist, zeigen die entsprechenden Kommentare zu den Vorgängen. Es ist ein gefundenes Fressen für die organisierten Kommentatoren aus dem Dunstkreise derer, gegen die sich die Demo eigentlich richtete. Die sich sofort auf die reiche Beute stürzen und das eigentlich richtige Anliegen (ein Leben ohne Hass wäre wünschenswert) in der Luft zerpflücken. Leider zu Recht. Denn wie so oft mangelt es bei denjenigen, die etwas besser machen wollten, vor allem an einem: Haltung. Damit hätte man nämlich plakatierte Diffamierungen und schwarz-gewandte Pyromanen-Chöre von der Demo ausgeschlossen. So bleibt der Eindruck, dass es vor allem um ein Leben ohne Hass von Rechts ging, bei dem man nicht abgeneigt war, im Zweifel den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Ein Korb für Gauland

Manchmal begegnet man Menschen im Leben, die einem plötzlich einen Schwall gänzlich ungewollter Aufmerksamkeit zukommen lassen. Der schmierige Typ in der Bar mit dem ungewaschenen Haar, der gerne „tanzen“ möchte und schon mal eine Hand auf Hüfthöhe ausstreckt. Die mitgenommen aussehende Dame mit einem Fleck Erbrochenem auf dem Kleid, die um halb sechs morgens an der U-Bahn-Station Gesellschaft sucht. Oder ein populistischer Agitator, der in seiner Partei mehrfach Rassismus weglächelt oder als Stillosigkeit verharmlost, aber nun plötzlich Verbrüderung mit liberalen Kräften haben will. Solchen Leuten gemein ist ihre teils persönlichkeits-inhärente, teils substanz-induzierte Wahrnehmungstrübung, in der sie sich für erheblich begehrenswerter halten als sie es sind und das angeekelte Abwehrverhalten ihres Gegenübers nicht mehr deuten wollen (seltener: können).

Sprechen wir also über Alexander Gauland, der sich nun öffentlich einen Schulterschluss mit der FDP erhofft. Eine Partei, die sich für individuelle Freiheit, Menschen- und Bürgerrechte und damit den Kern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einsetzt, soll gemeinsam mit denjenigen arbeiten, in deren Reihen sich ohne großen Widerspruch laute Stimmen für die Abschaffung dieser unserer Gesellschaftsordnung einsetzen: Lügenpresse, Politiker als Volksverräter, alles Fremde als Bedrohung – der Tenor dieser AfD ist so unvereinbar mit einer liberalen Partei wie die ideologischen Fundamente der Linken und der CSU. Man könnte lernen aus der Verweigerung von Realpolitik, die die AfD als Sprungbrett in den Bundestag nutzte, dass diese Partei alles tut für Wählerstimmen und Publicity. Zum Beispiel eine plötzliche Kehrtwende in der Bereitschaft mit der FDP als einer der vielgescholtenen Altparteien gemeinsame Sache zu machen.

Genau darin zeigt sich die Perfidie des Alexander Gauland: Er weiß vermutlich ganz genau, dass seine Partei mit Liberalismus so viel am Hut hat wie Kim Jong Un mit Demokratie. Und dass deshalb die FDP natürlicherweise dieses „Angebot“ vehement ablehnen muss. So hat die AfD eine weitere Episode in ihrem Opfermythos. Es ist schließlich in der nun erwartbaren Inszenierung der Vertreter von weniger als 13% des Volkes beinahe schon eine Zumutung, dass der erklärte politische Gegner nicht die eigenen Prinzipien und Kernwerte verrät, um in das monothematische Lamento über Flüchtlinge, Lügenpresse und die bösen Politiker [nur die anderen!] einzustimmen. Dieser Unsinn zieht leider bei den AfD-Wählern, die ihrem Gauland vermutlich auch glauben würden, dass Angela Merkel eigentlich ein Cyborg mit dem konservierten Hirn Adolf Hitlers ist. Aktion erfolgreich, Dreistigkeit gewinnt bei denjenigen, die Fakten durch eine “Protest hat immer Recht”-Mentalität substituieren.

Trotzdem kann man Wolfgang Kubicki für seine Konsequenz und klare Absage in Richtung Gauland nur danken. Auf einer Ebene von Sachpolitik werden Überschneidungen zwischen AfD und FDP mit Sicherheit auftreten. Diese sollten auch zulässig sein. Denn so abstoßend man die AfD als demokratisch und freiheitlich denkender Mensch finden muss: Abgrenzung gehört in die Debatten, nicht in die Abstimmungen. Wenn die FDP mit den Stimmen der Grünen, der Linken oder auch der AfD richtige Anliegen umsetzen kann, so ist es nur konsequent, das auch zu tun. So funktioniert Demokratie, alles andere ist Kindergarten. Aber ein Bündnis oder auch nur informeller Schulterschluss mit der nationalistisch und in Teilen völkisch geprägten AfD kann keine Option sein für freie Demokraten, denen dieses Wortpaar noch etwas bedeutet. Diese Erkenntnis ist übrigens nicht neu, sondern fast vier Jahre alt – damals hieß der Vorsitzende der AfD noch Lucke und war zwar erheblich gemäßigter, aber nicht weniger inkompatibel mit einer liberalen Weltanschauung. Deshalb: Nein, danke, Herr Gauland. Und Freunde werden wir auch nicht. Nicht mal auf Facebook.

Langstrumpf-Wochen bei der AfD

Die neurechten Intellektuellen im Dunstkreis der AfD haben für ihr Propaganda-Fußvolk eine nicht ganz neue Handreichung vorbereitet. Zur Verteidigung des Kandidaten auf den Posten des Bundestagsvizepräsidenten Albrecht Glaser gegen die Vorwürfe, er sei wegen seiner Äußerungen zum Islam verfassungsfeindlich, gibt es jetzt eine Antwort in den sozialen Netzwerken: Der Islam sei gar keine keine Religion! Von Pippi Langstrumpf ist dieser Ansatz freilich nicht mehr weit entfernt: Ich definier’ mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt. Nur, dass in der Welt der AfD kunterbunt ein Reizwort ist.

Damit ist der Islam dann also irgendwas anderes, aber mit Religionsfreiheit kann keiner mehr kommen. Und wo wir gerade schon dabei sind, willkürlich Begriffe zu definieren, warum dort aufhören: Ist jede Meinung tatsächlich eine Meinung? Kunst immer Kunst? Ist überhaupt jeder Mensch wirklich ein Mensch? Sprachlich feststehende Begriffe nach Belieben umzudeuten war schließlich schon einmal erfolgreich, um die Massen zu blenden. Jaja, Nazi-Keule… nein! Hier wird explizit auf Grundlage einer einseitigen und willkürlichen Begriffsumdeutung etwa 4,5 Millionen Menschen in Deutschland das grundgesetzlich verbriefte Recht auf ihren Glauben abgesprochen. Darum geht es Herrn Glaser und der AfD nämlich – da sie ihr anti-islamisches Programm im Rahmen des Grundgesetzes nicht konsequent verfolgen dürfen, versuchen sie es durch die Hintertür. Die historische Parallele, eine ganze Gruppe von Menschen aufgrund ihres Glaubens zu diffamieren und das nur anders zu nennen, drängt sich geradezu auf. Auch Antisemiten waren und sind kreativ darin, den eigentlichen Grund ihrer Ablehnung durch Nebelkerzen wie Ausweichen auf politische Nebenschauplätze zu verbergen.

Wir können und wir müssen den Islam als Religion kritisieren. In diesem Kontext zum Beispiel den totalitären Wahrheitsanspruch, mit dem nicht wenige Anhänger ihren Mitmenschen die Religionsfreiheit ihrerseits absprechen. Und für zig andere Widersprüche zu unserem Grundgesetz und unserer Gesellschaftsordnung. Aber solche Kritik darf nicht auf Grundlage eines angedrohten Rechtsentzugs geschehen. Auch ein Rassist ist vor Rassismus zu schützen oder ein Mörder vor Lynchjustiz. Im Rechtsstaats gibt es keine Vogelfreien. Eine ideologische oder politische Dimension, die auf dem Islam aufbaut, gehört ebenfalls in eine öffentliche Debatte. Ideologie und Politik lässt sich aber nicht in einen Topf mit dem persönlichen Glaubensbekenntnis werfen, wie es Josef Ludin bereits vor Jahren feststellte. Wobei ihm letztlich doch keine begriffliche Trennung gelang. Aus gutem Grund existiert mit “Islamismus” ein Wort, das eine politisch-ideologische Auslegung des fundamentalistischen Islam beschreibt. Das verdeutlicht, dass dies nur eine mögliche Auslegung des Glaubens ist. Ganz wie dies auch im Christentum das jüngste Beispiel der “Zwölf Stämme” zeigt. Subjektiv besteht vermutlich ein Unterschied zwischen dem Töten Andersgläubiger und körperlicher Züchtigung von Kindern. Das subjektive Empfinden ist aber aus gutem Grund kein rechtsstaatlicher Bewertungsmaßstab.

Jede Religion bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Glaubens und den Grenzen bei dessen Ausübung. Das Urteil über den Status einer wie auch immer gearteten Weltanschauung hängt aber nicht an der Religionsausübung ihrer Anhänger. Und obliegt unabhängig davon nicht der AfD. Mögen einige ihrer Anhänger diesen Versuch auch noch so laut in die sozialen Netzwerke brüllen. Generationen von Theologen und Philosophen erkennen den Islam als eine Religion an. Ernsthafte Zweifel an diesem Status gibt es jenseits der Gleichsetzung mit Islamismus und damit verbundenen, selbst-referenziellen Argumenten nicht.  Die Problematik des unscharfen Religionsbegriffs befreit die Verfechter von “Der Islam ist keine Religion” nicht von dem Vorwurf, dass sie hier eine propagandistische Neudefinition anstreben, die letztlich darauf hinaus läuft, den grundgesetzlichen Schutz des freien Glaubensbekenntnis auszuhebeln.

Meinungsfreiheit, die ich meine

Meinungen sind ein schwieriges Thema. Jeder hat eine. Wir reden gerne darüber. Aber weshalb fällt es uns so schwer, die Existenz anderer Meinungen zu akzeptieren, ohne sie zu teilen? Selbst mit grundlegender Küchen-Philosophie ist doch festzustellen, dass eine Meinung per Definition nicht objektiv richtig oder falsch sein kann. Somit muss Meinungsfreiheit zunächst vorbehaltlos gelten. Wird eine Meinung allerdings zum Aufruf zur Straftat, so kann diese durchaus auch jenseits der inhaltlichen Ebene kritikwürdig oder in extremen Fällen gar justiziabel sein.

Auf diesem dünnen Grat wanderte zuletzt “Spiegel Online”-Kolumnistin Sibylle Berg. Irgendwo zwischen berechtigter Warnung, selbstgefälliger Polemik und linkem Salonrevoluzzertum verstieg Frau Berg sich dabei am vergangenen Wochenende dazu, den Dialog mit Rechten nicht nur für gescheitert zu erklären, sondern gleich noch eine “Alternative” zu empfehlen: Antifa-Aktionismus und Schwarzer Block. Ist das noch Meinung oder schon ein Aufruf zur Gewalt, wie der Vorwurf vom anderen Ende des politischen Spektrums lautete? Zumindest lassen fehlende Differenzierung und der kompromisslose Ton der Kolumne letztere Interpretation durchaus zu. Bei der taz werden zur Entkräftung des Vorwurfs Todesopfer rechter Gewalt gegen ausgebrannte Autos aufgerechnet. Ja, Todesopfer sind weitaus schlimmer. Aber das ändert nichts daran, dass Antifa und Schwarzer Block grundsätzlich Gewalt für ein legitimes Mittel zur politischen Auseinandersetzung halten und auch entsprechend einsetzen. Und diese Einstellung will Sibylle Berg uns als Lösung für einen gescheiterten Diskurs verkaufen.

Da in der Gedankenwelt von Frau Berg offenkundig nur ihre eigenen Tautologien existieren, kommt ihr in all ihrer ideologischen Selbstherrlichkeit wohl kaum in den Sinn, dass Gewalt als Konsequenz unaufgelöster Meinungsverschiedenheiten für jede andere Meinung gleichermaßen Anwendung finden würde. Für ausnahmslos jede. Weil alle Ideologen davon überzeugt sind, dass sie als einzige richtig liegen. Zum Beispiel die von ihr so verhassten Neoliberalen: Knüppelt die Geschäftsführung beim nächsten Streik einfach die Belegschaft in die Werkshalle hinein, weil sie der Meinung ist, dass die Mitarbeiter auskömmlich bezahlt werden? Okay, mit Antifa-Methoden brennen vielleicht nur ein paar nicht abgezahlte Familienwagen. Alles halb so wild, ist ja Gewalt gegen Dinge…

Da denkt man doch, dass eine studierte Politikwissenschaftlerin über genügend historischen Kontext und Allgemeinbildung verfügen sollte, um die Vorteile einer Diskussionskultur gegenüber einer gewaltsamen Auseinandersetzung zur gesellschaftlichen Meinungsbildung zu erkennen. Pusteblume. Ein Jahrhundert mit leidvollen Erfahrungen über die Konsequenzen totalitärer Systeme linken wie rechten Anstrichs liegt hinter uns. Und noch immer fällt es schwer, die Lehren daraus zu ziehen.

Wenn also Frau Berg aufgrund unschöner Szenen auf einer Buchmesse empfiehlt, Meinungen im Zweifel auch mit stählerner Faust durchzusetzen, so sollten sich vernunftbegabte Menschen die Frage stellen, wie man einander verstehen kann, ohne einverstanden zu sein. Hoffentlich bevor wir in letzter Konsequenz Internierungslager für Andersdenkende errichten müssen, weil die auch nach Gegendemo, Sitzblockaden und Brandstiftung an ihrer Meinung festhalten. In unserer Gesellschaft ist Meinungsfreiheit ein so hohes Gut, weil sie genau dieses erlaubt: Ich darf anderer Meinung sein. Und muss deshalb weder Besorgt-Bürgersturm noch Antifa-Schwadrone fürchten. Das bedeutet aber auch, dass wir uns bei aller Freiheit auf grundsätzliche Spielregeln einigen müssen. Zum Beispiel die Meinungsfreiheit, die auch für mit der eigenen maximal inkompatible Meinungen gelten muss. Und das staatliche Gewaltmonopol, das den Diskurs als Mittel politischer Auseinandersetzung sichert.

Das alles ließ sich übrigens sehr gut auf besagter Buchmesse nachvollziehen. Zwei Fronten mit totalitärem Wahrheitsanspruch stehen sich gegenüber und werden nur von den Ordnungskräften der Gesellschaft davon abgehalten, einander an die Gurgel zu gehen. Frau Berg hätte vermutlich große Freude daran gehabt, sich mit der anderen Seite im gegenseitigen Niederbrüllen zu messen. Und vor lauter Aktionismus glatt die Erkenntnis verpasst. Dass nämlich Meinungsfreiheit nur funktioniert, wenn alle Beteiligten sie einander zugestehen. Auch und gerade wenn das bei einigen Leuten echt weh tut oder fast unmöglich scheint.

Die rechte Ecke

Wer im persönlichen Umfeld über Politik diskutiert, mag dieses Phänomen kennen: Man spricht mit dem entfernten Bekannten, der Schwägerin oder einem Cousin zweiten Grades. Der herbstliche Grillabend ist voll im Gange und das dritte Bier in der Hand, da bricht es aus den Leuten heraus: Diese Muslime und ihre Kopftücher! Die ganzen Flüchtlinge! Die Nafris am Bahnhof! Ungefragt startet eine politische Kanonade mit Argumenten auf dem Niveau eines AfD-Wahlplakats. Der erwartbare Widerspruch wird mit der gekränkten Bemerkung gekontert, man wolle sich nicht in die rechte Ecke stellen lassen. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.

Liebe Rechte-Ecke-Leugner, ihr geht mir gehörig auf die Nerven. Es gibt eine hinlänglich klare Definition dessen, was politisch rechts ist. Und die erfüllt ihr, wenn ihr der Muslima den Schleier aber nicht dem Clown die Pappnase verbieten wollt. Wenn ihr Flüchtlinge nur dann aufnehmen wollt, wenn es keine arabisch aussehenden jungen Männer ohne Begleitung sind. Wenn ihr Kriminalitätsstatistiken nutzt, um euer latent xenophobes Weltbild zu versachlichen. Dieses ganze verschämte und trotzige Getue ist letztlich doch genau die Bestätigung, dass ihr merkt, wie dünn das Eis ist, auf dem ihr euch bewegt. Weil es eben im Kern darum geht, dass ihr Anderssein ablehnt und das leider nicht rational begründen könnt.

Der Witz ist, dass dieser Abwehrhaltung in vielen Fällen gar keine explizite Einordnung der Meinung oder gar Person als “rechts” vorausgeht. Es ist vielmehr eine Art Beipackzettel, der in vorauseilendem Selbstzweifel schon einmal den Weg zum ideologischen Grabenkampf vorzeichnet. Den kann auch niemand gewinnen, wenn sich eine Seite einfach dem Konsens über eine allgemeine Begriffsdefinition entzieht. Er ist aber bequem, weil sich so die inhaltliche Argumentation erübrigt.

Ich bin der letzte, der jemandem seine Meinung verbietet. Aber ich nenne die Dinge gerne beim Namen. Auf einen politischen Standpunkt wird niemand von einem anderen gestellt. Da stellt sich jeder selbst hin. Mit seiner Meinung, mit seiner Haltung und seinen Aussagen. Und sollte dann auch das Rückgrat haben, sich mit Kritik an der eigenen Position auseinanderzusetzen statt diese zu verleugnen. Vor allem, wenn es eine engstirnige und kurzsichtige Haltung ist, die Herkunft oder Religion als zentralen Bewertungsmaßstab von Menschen heranzieht. Da kann man noch so viele Sachargumente ins Feld führen, es bleibt eine zutiefst fragwürdige Grundhaltung, die im Kern alle Errungenschaften moderner Gesellschaften und die Lehren aus zwei Weltkriegen in Frage stellt. Doch diese Problematik wird bequem wegdefiniert: “Stell mich nicht in die rechte Ecke” ist die argumentative Selbstaufgabe, bei der es nicht mehr um eine sachliche Debatte, sondern nur noch um die Bestätigung einer Opferhaltung geht. Aus der heraus argumentiert es sich natürlich noch viel besser jenseits von Anstand und Moral. Auch nach drei Bier ist das ein Armutszeugnis.

Niedersachsen wählt – mit Vernunft?

Wird es in Niedersachsen besser als bei der Bundestagswahl gelingen, die Wähler mit einer gemäßigten Politik zu erreichen? Nach dem letzten Wahlsonntag hat eine Befragung der Infratest dimap ergeben, dass zwei Drittel der Unterstützer der AfD diese nicht aus Überzeugung, sondern aus einem Gefühl der Enttäuschung gewählt haben. Auf dem zweitletzten Platz folgt die Linke, die immerhin die Hälfte ihrer Wähler hinter ihrer politischen Position weiß. Auch das ist kein besonders überzeugendes Mandat.

Liebe Niedersachsen: Ihr habt jetzt die Chance und hoffentlich den Mut, euch ganz im Sinne eines großen deutschen Denkers eures Verstandes zu bedienen. Politik kann frustrieren und keine Partei kann 80 Millionen Einzelmeinungen bedienen. Der Wunsch, deutliche Signale der Unzufriedenheit zu setzen, ist für mich nachvollziehbar. Aber wollt ihr 6-8 % AfD-Wähler wirklich das durchaus ernst zu nehmende Anliegen politischer Veränderung in die Hände eines Landesverbands zu legen, der sich selbst für einen Witz hält? Mit Steuergeldern eine Partei finanzieren, deren Vertreter die gegenwärtigen Zustände als das „widerwärtigste System das je auf deutschem Boden existierte“ bezeichneten? 

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der deutsche Boden hat schon einige Systeme überdauern müssen. Kinderarbeit, Leibeigenschaft, politische Verfolgungen, Hexenverbrennungen, Kriege, Nationalsozialismus – und ein Vordenker der AfD Salzgitter meint, es sei heutzutage am schlimmsten? Man muss im besten Falle davon ausgehen, dass der Verfasser dieses geistreichen Kommentars lieber in einer 7-Tage-Woche auf niedersächsischen Feldern unter der Knute eines Feudalherren Spargel stechen möchte. Mit Blick auf in der AfD weitestgehend tolerierte Positionen liegt allerdings auch eine geschichtsrevisionistische Intention nahe.

In der AfD sind sicherlich eine Menge vernünftige Leute, mit ernsten Anliegen, bei denen solche Äußerungen in ähnlicher Weise auf fassungsloses Unverständnis stoßen. Das Problem ist: Sie geben in der Partei nicht den Ton an. Die erwiesene Unfähigkeit, sich der Hetzer und Menschenfeinde in ihren Reihen nachhaltig zu entledigen, diskreditiert jegliche gemäßigte Positionen. Diese als eurokritische Partei angetretene Vereinigung entwickelt sich nämlich ungebremst zu einer Bühne für machtverliebte Antidemokraten, die nicht die Interessen der Bürger, sondern vor allem ihre eigene politische Karriere im Blick haben. Es ist schon aufgrund der Mehrheitsverhältnisse vollkommen ausgeschlossen, dass die AfD in Niedersachsen einen wahrnehmbaren Beitrag zur Tagespolitik leisten wird. Die Mandate und Wahlkampfhilfen aber stärken Personen, die die individuelle Freiheit, die sie genießen, dazu missbrauchen wollen, sie anderen zu entreißen – im Zweifel auch ihren eigenen Unterstützern. In ihrer mangelnden Abgrenzung zum Extremismus in den eigenen Reihen hat die Linke in den vergangenen Jahren übrigens Fortschritte gemacht, aber ist noch lange nicht mit beiden Beinen auf dem Boden eines demokratischen Rechtsstaats angekommen.

Wer ein ernst gemeintes politisches Anliegen hat, sollte sich deshalb jenseits der Monothematiken rechter oder linker Extremisten mit den Wahlprogrammen demokratischer Parteien beschäftigen. Wer sich davon nicht ausreichend repräsentiert fühlt, darf auch gerne selbst in eine Partei eintreten und Politik mitgestalten. Bei der FDP geht das zum Beispiel in wenigen Minuten per Webformular. Und ganz ehrlich: Wer sich bei Union, SPD oder Grünen oder einer Kleinpartei besser aufgehoben fühlt, möge gerne dort seine Ideen und Anregungen einbringen. Konstruktiv mitreden durch Gebrauch des eigenen Verstandes ist gelebte Demokratie – Ablehnung gegen alles und jeden einfach nur Bockigkeit.