Die neurechten Intellektuellen im Dunstkreis der AfD haben für ihr Propaganda-Fußvolk eine nicht ganz neue Handreichung vorbereitet. Zur Verteidigung des Kandidaten auf den Posten des Bundestagsvizepräsidenten Albrecht Glaser gegen die Vorwürfe, er sei wegen seiner Äußerungen zum Islam verfassungsfeindlich, gibt es jetzt eine Antwort in den sozialen Netzwerken: Der Islam sei gar keine keine Religion! Von Pippi Langstrumpf ist dieser Ansatz freilich nicht mehr weit entfernt: Ich definier’ mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt. Nur, dass in der Welt der AfD kunterbunt ein Reizwort ist.
Damit ist der Islam dann also irgendwas anderes, aber mit Religionsfreiheit kann keiner mehr kommen. Und wo wir gerade schon dabei sind, willkürlich Begriffe zu definieren, warum dort aufhören: Ist jede Meinung tatsächlich eine Meinung? Kunst immer Kunst? Ist überhaupt jeder Mensch wirklich ein Mensch? Sprachlich feststehende Begriffe nach Belieben umzudeuten war schließlich schon einmal erfolgreich, um die Massen zu blenden. Jaja, Nazi-Keule… nein! Hier wird explizit auf Grundlage einer einseitigen und willkürlichen Begriffsumdeutung etwa 4,5 Millionen Menschen in Deutschland das grundgesetzlich verbriefte Recht auf ihren Glauben abgesprochen. Darum geht es Herrn Glaser und der AfD nämlich – da sie ihr anti-islamisches Programm im Rahmen des Grundgesetzes nicht konsequent verfolgen dürfen, versuchen sie es durch die Hintertür. Die historische Parallele, eine ganze Gruppe von Menschen aufgrund ihres Glaubens zu diffamieren und das nur anders zu nennen, drängt sich geradezu auf. Auch Antisemiten waren und sind kreativ darin, den eigentlichen Grund ihrer Ablehnung durch Nebelkerzen wie Ausweichen auf politische Nebenschauplätze zu verbergen.
Wir können und wir müssen den Islam als Religion kritisieren. In diesem Kontext zum Beispiel den totalitären Wahrheitsanspruch, mit dem nicht wenige Anhänger ihren Mitmenschen die Religionsfreiheit ihrerseits absprechen. Und für zig andere Widersprüche zu unserem Grundgesetz und unserer Gesellschaftsordnung. Aber solche Kritik darf nicht auf Grundlage eines angedrohten Rechtsentzugs geschehen. Auch ein Rassist ist vor Rassismus zu schützen oder ein Mörder vor Lynchjustiz. Im Rechtsstaats gibt es keine Vogelfreien. Eine ideologische oder politische Dimension, die auf dem Islam aufbaut, gehört ebenfalls in eine öffentliche Debatte. Ideologie und Politik lässt sich aber nicht in einen Topf mit dem persönlichen Glaubensbekenntnis werfen, wie es Josef Ludin bereits vor Jahren feststellte. Wobei ihm letztlich doch keine begriffliche Trennung gelang. Aus gutem Grund existiert mit “Islamismus” ein Wort, das eine politisch-ideologische Auslegung des fundamentalistischen Islam beschreibt. Das verdeutlicht, dass dies nur eine mögliche Auslegung des Glaubens ist. Ganz wie dies auch im Christentum das jüngste Beispiel der “Zwölf Stämme” zeigt. Subjektiv besteht vermutlich ein Unterschied zwischen dem Töten Andersgläubiger und körperlicher Züchtigung von Kindern. Das subjektive Empfinden ist aber aus gutem Grund kein rechtsstaatlicher Bewertungsmaßstab.
Jede Religion bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Glaubens und den Grenzen bei dessen Ausübung. Das Urteil über den Status einer wie auch immer gearteten Weltanschauung hängt aber nicht an der Religionsausübung ihrer Anhänger. Und obliegt unabhängig davon nicht der AfD. Mögen einige ihrer Anhänger diesen Versuch auch noch so laut in die sozialen Netzwerke brüllen. Generationen von Theologen und Philosophen erkennen den Islam als eine Religion an. Ernsthafte Zweifel an diesem Status gibt es jenseits der Gleichsetzung mit Islamismus und damit verbundenen, selbst-referenziellen Argumenten nicht. Die Problematik des unscharfen Religionsbegriffs befreit die Verfechter von “Der Islam ist keine Religion” nicht von dem Vorwurf, dass sie hier eine propagandistische Neudefinition anstreben, die letztlich darauf hinaus läuft, den grundgesetzlichen Schutz des freien Glaubensbekenntnis auszuhebeln.