Antizionistische Airlines

Wissen Sie, wo Kuwait liegt? Ein international marginal bedeutsamer Landzug, der bislang im Wesentlichen als Dreh- und Angelpunkt der letzten Golfkriege in Erscheinung trat. Irgendwo zwischen Irak und Saudi-Arabien liegt dieses muslimisch geprägte Land, in dem – wie das in der Region vielerorts zum guten Ton gehört – der Staat Israel und seine Bürger nicht wohlgelitten sind. Die ganze historische Dimension des Konflikts, der den nahen Osten regelmäßig in Flammen setzt, sprengt hier den Rahmen. Wichtig ist aber die Einordnung, dass die Ablehnung des Staates Israel (Antizionismus) und die Ablehnung von Juden (Antisemitismus) zwar Hand in Hand gehen aber keinesfalls immer das gleiche sind.

Kuwait hat ein antizionistisches Gesetz: Es ist Unternehmen in diesem Land untersagt, Geschäftsbeziehungen zu Bürgern Israels zu unterhalten. Dies nahm die Fluggesellschaft Kuwait Airways zum Anlass, um einem Israeli die Beförderung auf einem ihrer Flüge zu untersagen. Und zwar bei einem Abflug in Frankfurt. Vielleicht gibt es in Kuwait kein allzu großes Bewusstsein über die deutsche Geschichte, sonst hätte man das Potenzial für einen Konflikt bereits früh erkennen können. Der eigentliche Aufreger ist allerdings ein Gerichtsurteil, das den Kuwaitis hier freie Hand gibt und ihnen zugesteht, Fluggäste aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit auszuschließen. Und zwar weil es dem Unternehmen nicht zumutbar wäre, gegen ein Gesetz in dem Land zu verstoßen, in dem es seine Heimat hat. Auch wenn es um einen Vorfall auf deutschem Boden geht.

Jenseits juristischer Haarspaltereien kann man zwei Lager verorten, die das Urteil kommentieren. Da sind einerseits die juristischen Pragmatiker, die zu Recht darauf hinweisen, dass Kuwait Airways tatsächlich gar keine Entscheidungsfreiheit in dieser Sache hat. Auch deutsche Unternehmen können bei ihren Auslandsgeschäften nicht einfach deutsches Recht umgehen. Auf der anderen Seite ist es – und auch den Verfechtern dieser Position kann man schwerlich sachlich widersprechen – kaum mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar, Menschen einzig und allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit von einer Dienstleistung auszuschließen. Das ist nämlich des Pudels Kern, wenn man Antizionismus und Antisemitismus trennt.

Um dem Ganzen die Brisanz der historischen Einordnung zu nehmen, könnte man das gleiche Beispiel mit anderen Protagonisten durchspielen: Hielten wir es für angemessen, wenn eine US-Amerikanische Fluggesellschaft allen Nordkoreanern die Nutzung eines Flugs von München nach Buenos Aires untersagte? Auch hier gibt es eine ganz schlichte Erkenntnis: Unabhängig vom gesetzgeberischen Kontext in den USA (oder Kuwait oder anderswo), handelt es sich im Sinne der deutschen Gesetzgebung um eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft, aus der sich in den allermeisten Fällen die Staatsangehörigkeit ableitet. Damit ist die Frage nach der Zumutbarkeit der Anwendung deutschen Rechts (mit der sich das Frankfurter Landgericht im realen Fall der Nicht-Beförderung des israelischen Passagiers beschäftigte) vollkommen irrelevant. Es geht um Glaubwürdigkeit und Konsequenz bei der Anwendung unserer Gesetze.

Der Vorstandsvorsitzende der Springer-Presse, die nicht nur mit der Bild-Zeitung gerne bei jeder erdenklichen Gelegenheit in lauten Alarmismus verfällt, Mathias Döpfner, überschrieb und schloss seine analogen Betrachtungen mit einem Verweis auf den Beginn der “Unterwerfung“. Eine Referenz auf die popliterarische Fiktion des Autors Houellebecq, in der sich die Franzosen einem islamistischen Wertesystem unterordnen. Dieser Roman wird in einigen Kreisen, die offenkundig ein Problem mit der Unterscheidung zwischen Realität und Fantasie haben, gerne für bare Münze genommen und dem Werk ein prophetisches Element zugesprochen. Ein wichtiger Bestandteil des Antisemitismus war und ist übrigens die Idee einer jüdischen Weltverschwörung, die alle Bereiche des Lebens unterwandert. Die Neue Rechte führt mit Verweis u.a. auf Houellebecq eine ganz ähnliche Erzählung mit dem Islam fort, nämlich das vermeintliche Streben nach einer islamistischen Hegemonie in Europa. Man kann nur hoffen, dass Döpfner die fehlende Abgrenzung gegenüber dieser Deutung lediglich versäumt hat.

Wenn man keine Zeitungsauflage durch maximale Empörung steigern muss, bleibt auch eine weniger heikle Deutung. Es handelt sich schlicht um ein Fehlurteil. Das glaubt man auch in der deutschen Regierung. Und sucht den Dialog mit Kuwait. In der Zwischenzeit wünsche ich mir allerdings Konsequenzen. Wenn eine ausländische Gesellschaft sich bei ihrer Geschäftstätigkeit auf deutschem Boden nicht an deutsches Recht hält, so muss sie künftig an ihrer Geschäftstätigkeit hier gehindert werden. In den USA ist man so übrigens genau mit Kuwait Airways verfahren.

Langstrumpf-Wochen bei der AfD

Die neurechten Intellektuellen im Dunstkreis der AfD haben für ihr Propaganda-Fußvolk eine nicht ganz neue Handreichung vorbereitet. Zur Verteidigung des Kandidaten auf den Posten des Bundestagsvizepräsidenten Albrecht Glaser gegen die Vorwürfe, er sei wegen seiner Äußerungen zum Islam verfassungsfeindlich, gibt es jetzt eine Antwort in den sozialen Netzwerken: Der Islam sei gar keine keine Religion! Von Pippi Langstrumpf ist dieser Ansatz freilich nicht mehr weit entfernt: Ich definier’ mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt. Nur, dass in der Welt der AfD kunterbunt ein Reizwort ist.

Damit ist der Islam dann also irgendwas anderes, aber mit Religionsfreiheit kann keiner mehr kommen. Und wo wir gerade schon dabei sind, willkürlich Begriffe zu definieren, warum dort aufhören: Ist jede Meinung tatsächlich eine Meinung? Kunst immer Kunst? Ist überhaupt jeder Mensch wirklich ein Mensch? Sprachlich feststehende Begriffe nach Belieben umzudeuten war schließlich schon einmal erfolgreich, um die Massen zu blenden. Jaja, Nazi-Keule… nein! Hier wird explizit auf Grundlage einer einseitigen und willkürlichen Begriffsumdeutung etwa 4,5 Millionen Menschen in Deutschland das grundgesetzlich verbriefte Recht auf ihren Glauben abgesprochen. Darum geht es Herrn Glaser und der AfD nämlich – da sie ihr anti-islamisches Programm im Rahmen des Grundgesetzes nicht konsequent verfolgen dürfen, versuchen sie es durch die Hintertür. Die historische Parallele, eine ganze Gruppe von Menschen aufgrund ihres Glaubens zu diffamieren und das nur anders zu nennen, drängt sich geradezu auf. Auch Antisemiten waren und sind kreativ darin, den eigentlichen Grund ihrer Ablehnung durch Nebelkerzen wie Ausweichen auf politische Nebenschauplätze zu verbergen.

Wir können und wir müssen den Islam als Religion kritisieren. In diesem Kontext zum Beispiel den totalitären Wahrheitsanspruch, mit dem nicht wenige Anhänger ihren Mitmenschen die Religionsfreiheit ihrerseits absprechen. Und für zig andere Widersprüche zu unserem Grundgesetz und unserer Gesellschaftsordnung. Aber solche Kritik darf nicht auf Grundlage eines angedrohten Rechtsentzugs geschehen. Auch ein Rassist ist vor Rassismus zu schützen oder ein Mörder vor Lynchjustiz. Im Rechtsstaats gibt es keine Vogelfreien. Eine ideologische oder politische Dimension, die auf dem Islam aufbaut, gehört ebenfalls in eine öffentliche Debatte. Ideologie und Politik lässt sich aber nicht in einen Topf mit dem persönlichen Glaubensbekenntnis werfen, wie es Josef Ludin bereits vor Jahren feststellte. Wobei ihm letztlich doch keine begriffliche Trennung gelang. Aus gutem Grund existiert mit “Islamismus” ein Wort, das eine politisch-ideologische Auslegung des fundamentalistischen Islam beschreibt. Das verdeutlicht, dass dies nur eine mögliche Auslegung des Glaubens ist. Ganz wie dies auch im Christentum das jüngste Beispiel der “Zwölf Stämme” zeigt. Subjektiv besteht vermutlich ein Unterschied zwischen dem Töten Andersgläubiger und körperlicher Züchtigung von Kindern. Das subjektive Empfinden ist aber aus gutem Grund kein rechtsstaatlicher Bewertungsmaßstab.

Jede Religion bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Glaubens und den Grenzen bei dessen Ausübung. Das Urteil über den Status einer wie auch immer gearteten Weltanschauung hängt aber nicht an der Religionsausübung ihrer Anhänger. Und obliegt unabhängig davon nicht der AfD. Mögen einige ihrer Anhänger diesen Versuch auch noch so laut in die sozialen Netzwerke brüllen. Generationen von Theologen und Philosophen erkennen den Islam als eine Religion an. Ernsthafte Zweifel an diesem Status gibt es jenseits der Gleichsetzung mit Islamismus und damit verbundenen, selbst-referenziellen Argumenten nicht.  Die Problematik des unscharfen Religionsbegriffs befreit die Verfechter von “Der Islam ist keine Religion” nicht von dem Vorwurf, dass sie hier eine propagandistische Neudefinition anstreben, die letztlich darauf hinaus läuft, den grundgesetzlichen Schutz des freien Glaubensbekenntnis auszuhebeln.