Die große Skynet-Phobie

Im ausklingenden Retro-Hype um die 80er Jahre mit ihren dystopischen Zukunftsvisionen lohnt es sich, einen Blick auf den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion zu werfen. Der gewaltige Kino-Erfolg der Terminator-Serie wirkt noch eine ganze Generation nach. Obwohl aus der furchterregenden Killer-Maschine zwischenzeitlich ein konservativer US-Politiker mit einem Sinn für ökologische Nachhaltigkeit geworden ist: Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenz eines Tages die Menschheit unterjocht, hat sich im kollektiven Bewusstsein der digitalen Pioniere eingebrannt. Die Schauermärchen aus Hollywood replizieren in den Medien diejenigen, die mit ähnlich düsteren SciFi-Werken wie Blade Runner oder eine Dekade später mit Matrix groß geworden sind.

Über drei Jahrzehnte nach Terminator sind wir heute an einem Punkt angelangt, an dem Maschinen tatsächlich in der Lage sind, menschliche Herleitungs- und Entscheidungsfindungsprozesse nachbilden zu können. Wobei  diese Technik noch bei weitem keine eigenständige Intelligenz sondern lediglich eine geschickte Anwendung mathematischer Operationen darstellt. Der Begriff “maschinelles Lernen” ist deshalb viel treffender. Die Begeisterung für den technologischen Fortschritt aber wird in der öffentlichen Diskussion bisweilen auf der Abstraktionsebene “Künstliche Intelligenz” (KI) vor dem Hintergrund der Blockbuster aus der eigenen Kindheit oder Jugend eingeordnet. So überwiegt die Skepsis gegenüber dieser Neuerung.

Wie groß die Möglichkeiten von maschinellem Lernen sind, zeigt sich allerdings an konkreten Einsatzgebieten. So arbeitet Microsoft an Unterstützungssystemen für Menschen mit Sehbehinderung oder Parkinson. Nach dem erwartbaren Zuspruch aus der Öffentlichkeit für diesen Einsatz frage ich mich: Sollten wir nicht einfach aufhören, Science-Fiction-Vokabular zu verwenden?

Auf einer etwas rationaleren Ebene kommen die üblichen Fortschrittsängste zum Tragen: Arbeitsplatzverlust ist ein Thema. Dabei verkennen wir eine zentrale Lehre aus der Menschheitsgeschichte: Arbeit verändert sich mit Fortschritt aber verschwindet nicht. Das führt zu temporären Verwerfungen und von Zeitzeugen als bedrohlich empfundenen Umbrüchen. Aber an deren Ende steht ein Zugewinn an Komfort, Lebenserwartung oder -qualität für die Gesellschaft. Vom Pflug über die Dampfmaschine, den Verbrennungsmotor bis zum Internet ist dies an einer Vielzahl von Beispielen belegbar. Die Gründe für Annahmen, dass es mit maschinellem Lernen anders sein sollte, entstammen bei genauerer Betrachtung wieder Hollywoods (Alp-)Traumfabrik. Denn wirklich in die Zukunft blicken können wir nicht. Nur aus der Vergangenheit lernen.

Belassen wir also doch bitte Skynet, die böse KI aus den Terminator-Filmen, zusammen mit Rumpelstilzchen und der Zahnfee im Reich der Fiktion. Im Zuge der Digitalisierung eröffnet uns maschinelles Lernen riesige Chancen. Dafür werden wir Regeln brauchen und Erfahrung mit dem Einsatz der neuen Technologie. Hier ist eine offene Haltung sicherlich hilfreicher als irrationale Furcht.

Hamburger Aufzug-Verwirrungskarten

Ob mit Rollstuhl, Kinderwagen oder schwerem Gepäck: Für die meisten Stationen der S- und U-Bahn in Hamburg sind täglich viele Menschen auf funktionierende Aufzüge angewiesen. Es liegt in der Natur technischer Anlagen, dass diese nicht rund um die Uhr wartungs- und ausfallfrei funktionieren. Wer von einem Defekt weiß, fährt einen Umweg und plant entsprechend mehr Zeit ein. Um an dieses wertvolle Wissen zu gelangen, empfiehlt der Hamburger Verkehrsverbund HVV seine schicke Karte. Auf dieser finden Nahverkehrsnutzer schön übersichtlich viele (nicht alle) Aufzüge an den Stationen mit Betriebszustand in einer Farb- und Symbolkennzeichnung. Das ist eine super Idee. Wenn sie nur nicht so dilettantisch umgesetzt wäre.

Wer einmal die Seite von einem Smartphone aus aufgerufen hat, braucht entweder eine Lupe oder viel Ausdauer beim Herumschieben. Vermutlich deshalb wird sie auf der mobilen Seite auch gar nicht erst angeboten. Dabei ist der mobile Zugriff sicherlich mit Abstand das häufigste Nutzungsszenario. Auch für einen Sehbehinderten ist die Darstellung als rein visuelle Information auf einer schematischen Netzkarte vermutlich nur bedingt geeignet. Dass es besser geht, kann man sich bei BrokenLifts.org ansehen. Ohne Karte, dafür funktional und von jedem überall nutzbar. Digitalisierung kann so einfach sein. Das ist aber letztlich alles Makulatur. Denn das größte Problem der Aufzugkarte des HVV ist ein anderes:

Die Anzeige für die Stationen der S-Bahn ist so zuverlässig wie die Wettervorhersage zwei Wochen im Voraus. Selbst wenn schon jemand einen Zettel an den Aufzug geklebt hat, dass die Reparatur in zwei Wochen erfolgt, strahlt die Haltestelle beim HVV in fröhlichem grün. Umgekehrt genauso. Über Tage und teilweise Wochen wird der Betriebszustand nicht aktualisiert. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Außendienstmitarbeiter der S-Bahn Hamburg diese Informationen per Flaschenpost an ein Rechenzentrum elbabwärts übermitteln. 

Wissen Sie was richtig lustig ist? Nach einem anstrengenden Zehn-Stunden-Tag und in großer Vorfreude auf ein warmes Essen im Kreis der Familie aus der S-Bahn auszusteigen, in Gedanken versunken zum Aufzug zu fahren und dann das verräterische rote Leuchten der “Außer Betrieb”-Anzeige zu sehen. Während die Erkenntnis langsam in das müde Hirn einsickert, dass aus drei Viertelstunden Heimweg nun fünf Viertelstunden werden, weil die Bahn in die Gegenrichtung gerade entschwunden und ein 200 Kilogramm schwerer E-Rollstuhl auch nicht anderweitig transportabel ist, kommt ein fröhlich-hilfsbereiter Zeitgenosse vorbei. Er erfasst die Situation sofort und kommentiert: “Der Aufzug ist kaputt, glaube ich.” Das ist richtig lustig.

Wenn aber nun die Mitarbeiter der 3S-Zentrale Hamburg, die jederzeit akkurat über sämtliche Aufzüge und deren Betriebszustand telefonisch Auskunft erteilen, ihr Wissen freundlicherweise unmittelbar in das IT-System des HVV eingeben würden, hätten wir drei Dinge erreicht: Die bestimmt für teures Geld aus öffentlicher Hand finanzierte Web-Anwendung wäre erstens endlich sinnvoll benutzbar. Zum zweiten haben die Mitarbeiter der 3S-Zentrale wieder Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben, weil sie nicht ständig ans Telefon müssen, um einzelnen Personen Auskunft über Aufzüge zu erteilen. Schließlich und drittens könnte ich im Zweifel einfach eine Station früher aussteigen und mein Abendessen warm zu mir nehmen. Das wäre zwar nicht so lustig aber doch irgendwie schön.

“Digital first, Bedenken second”

Mit einem so überschriebenen Plakat zog die FDP in den Wahlkampf um den Bundestag. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem zugespitzten Anliegen? In der öffentlichen Debatte waren in meinen Augen die Begriffe Digitalisierung und Datenschutz nicht klar genug voneinander abgrenzt. Das ist verständlich, da die technischen Details und Funktionsweisen – zum Beispiel personalisierter Werbung – den meisten Menschen eher fremd sind. So entsteht eine Begriffsüberlagerung, die zusätzlich von einer fachfernen Berichterstattung in Medien befeuert wird: Digitalisierung gleich Facebook gleich Datenkrake gleich gläserner Mensch gleich Datenschutzverletzung. Ist die FDP denn noch zu retten, mit so einem Spruch die eigenen Ideale zu verraten?

Dass persönliche Datenhoheit und aktive Digitalisierung durch geeignete Rahmenbedingungen mit einem “Recht auf Vergessenwerden” und konsequenter Verfolgung von Rechtsbrüchen durchaus gut zusammen passen, erklärte schon Alexander Graf Lambsdorff in einem Interview. Zum weiteren Verständnis ist es hilfreich, den Zusammenhang von Digitalisierung und Daten verstehen: Daten sind seit jeher eine natürliche Grundlage für alle möglichen Austausche mit Unternehmen, Behörden oder Privatpersonen. Auch in der Vergangenheit wurden diese erhoben, zusammengefasst und für verschiedenste Zwecke genutzt – oder auch missbraucht.

Denn eines muss man sich inmitten des ganzen Alarmismus bitte auch einmal bewusst machen: Früher standen Angestellte im Kaufhaus und haben das Verhalten der Kunden analysiert, ihnen an der Käsetheke vielleicht noch das Tagesangebot schmackhaft gemacht. Und wenn ich heute in die S-Bahn steige, wissen nicht wenige Fahrer schon, wo ich wieder aussteigen will, weil ich fast immer dieselbe Route fahre. Nichts anderes tun im Kern die Analysewerkzeuge von Google oder Amazon. Sie kennen ihre Benutzer und deren Verhalten durch einfache Beobachtung und Auswertung. Daraus lassen sich auch Rückschlüsse auf das Umfeld ziehen. Ein Mann, der am Valentinstag drei rote Rosen kauft, ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Single. Das Ganze ist also zumindest einmal kein spezifisches Phänomen der Digitalisierung.

Wie in vielen anderen Lebensbereichen übernimmt die Digitalisierung allerdings die Rolle eines Katalysators: Datenauswertung wird schneller, genauer und direkter. Dadurch wird die Auswirkung auch für Einzelne sichtbarer. Amazon ist nicht durch die wirtschaftlichen Implikationen einer Einzelbeobachtung jedes einzelnen Kaufhauskunden limitiert. Die Erhebung großer Datenmengen und ihre Auswertung ist so günstig, dass es keine Kostenvorbehalte gegen einen Einsatz gibt. Wenn dadurch eine mögliche Regelungslücke sichtbar geworden und nun zu schließen ist, sollte das aber nicht zu grundsätzlichen Vorbehalten gegen Digitalisierung führen. Vielmehr könnten wir uns damit beschäftigen, welchen regulativen Rahmen wir brauchen (und welchen nicht).

Die Frage, ob wir Digitalisierung wollen, stellt sich nämlich nicht. Ähnlich wie die Dampfmaschine oder das Automobil ist es eine unumkehrbare Veränderung unserer Lebensrealität. Wir brauchen deshalb keine Bremser, sondern Mitgestalter, die die richtigen Rahmenbedingungen mutig ausloten. Nur so können wir im zweiten Schritt mit Bedenken sinnvoll und rational umgehen. Dass es im Jahr 2017 keine Möglichkeit gibt, Schriftverkehr mit Behörden per digital signierter E-Mail aus einem Standard-Mailprogramm zu gestalten, ist ein Unding und letztlich das Ergebnis einer Politik, die Bedenken grundsätzlich vor Fortschritt stellt. “Digital first, Bedenken second” ist der Gegenentwurf, der Bedenken nicht außer Acht lässt, aber sie dringender und unvermeidlicher Reformation nachordnet.