“Behindert ist man nicht, behindert wird man.”, so die platte Erkenntnis einer emanzipatorischen Bewegung behinderter Menschen. Einige von ihnen legen neuerdings großen Wert darauf, als Mensch mit Behinderung angesprochen zu werden. Dieser Terminus ist in meinem (höchst subjektiven) Eindruck allerdings vor allem dort verbreitet, wo man mehr über Behinderte und weniger mit ihnen spricht. Nomenklatorische Haarspaltereien sind bequem, um inhaltlichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und trotzdem den Anschein zu wahren, man habe sich mit einem Thema vertiefend beschäftigt.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis halte ich persönlich die Kritik am aktuellen Vorschlag der FDP zur Änderung der Bezeichnung auf dem Schwerbehindertenausweis in Teilhabeausweis für nachvollziehbar. Von Kriegsversehrten zu Behinderten, von Integration über Inklusion zur Teilhabe führen wir seit Dekaden immer neue Begriffe ein, mit denen ein vermeintlicher Wandel einher gehen soll. Es ist einiges geschehen und doch bleibt die Realität häufig hinter den Erwartungen zurück. “Es geht nicht um Symbole, sondern um die Taten, die nun folgen müssen.”, sagte Jens Beeck als teilhabepolitischer Sprecher der FDP im Bundestag zu diesem Antrag. Ich stimme Herrn Beeck grundsätzlich zu, dass die Sprache ein wichtiges Element in der Wahrnehmung Behinderter durch sich selbst und die Gesellschaft ist. Aber der Kritik sollte er sich stellen – Taten müssen stärker in den Fokus politischen Handelns rücken.
Die Diskussion um Bezeichnungen ist nämlich weder notwendig, noch zielführend um den bestehenden Ordnungsrahmen zu verändern. Die Probleme entstehen im Alltag nicht an der Begrifflichkeit, sondern im Umgang mit Betroffenen und dies auch vonseiten staatlicher Institutionen. Die Überwindung von vorhandenen Klischees und Rollenbildern wird nicht voranschreiten, wenn wir nur ein anderes Etikett für die gleiche Sichtweise nutzen. Die eigentlichen Probleme entstehen vielmehr in der autoritären Auslegung speziell der politischen Extreme links wie rechts. Dort muss sich das Individuelle dem Kollektiv unterordnen. Im rechts-konservativen Spektrum wird die Abweichung von einer äußerlichen Norm als negativ herausgestellt und im Zweifel aktiv bekämpft (je rechter, desto konsequenter). Nur scheinbar besser ist es bei denjenigen, denen eine paternalistische Fürsorge ein Abhängigkeitsverhältnis und den Entzug der Eigenverantwortlichkeit begründet.
Erstrebenswert für Behinderte kann weder die Verfolgung, noch die Entmündigung sein. Den Ausweg bietet das vor allem von den Fürsorgern vielgescholtene Leistungsprinzip: Dieses muss sich ebenfalls am Individuum und seinen Möglichkeiten bemessen. Aber soweit ein Mensch – ob mit oder ohne Behinderung – in der Lage ist, einen auch noch so geringen Teil zur Gesellschaft beizutragen, so sollten wir das einerseits fair ermöglichen und andererseits auch einfordern. Ein solcher Beitrag beschränkt sich keineswegs auf eine wertschöpfende Erwerbstätigkeit. Diese Erweiterung der Definition nimmt den Boden für den Reflex , hier einen Ausschluss schwerst oder mehrfach Behinderter zu wittern. Doch gerade dort muss auch in der öffentlichen Debatte eine neue Sicht entstehen: Eigenverantwortliches Handeln mit allen Rechten und Pflichten ist auch dann erstrebenswert, wenn jemand dem nur sehr eingeschränkt nachkommen kann. In dem Rahmen, in dem es möglich ist, sollte es dennoch geschehen.
Liberale Politik ist in ihrem Kern das, was Behinderte seit vielen Jahren zu Recht einfordern – Selbstbestimmung. Dafür sollten wir Herrn Beeck beim Wort nehmen und uns auf auf die nun folgenden Taten freuen, um reale Hindernisse im Alltag Betroffener abzubauen und ihnen konsequent eine individuelle und selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens zuzugestehen. Einige Ideen hat der Aktivist Michael Arriens schon aufgeschrieben. Ich halte diese im Detail für fragwürdig. Aber darüber intensiv zu diskutieren, erscheint ein vernünftiger Schritt, der eigentlich nicht früh genug geschehen kann.