Freiwillige Barrierefreiheit unerwünscht

Wer nahe der S-Bahn Heimfeld wohnt, freut sich seit einiger Zeit über den Umzug der lokalen Postfiliale. Diese ist nun nämlich Teil eines Kiosk, was endlich auch mit einer Berufstätigkeit kompatible Abholzeiten für DHL-Pakete mit sich bringt. Da es beim Umzug nur einmal auf die andere Straßenseite ging, muss man sich auch nicht einen neuen Weg einprägen. Und noch etwas ist gleich geblieben: Eine hohe Stufe am Eingang verwehrt Kunden, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, den Zugang.

Dankenswerterweise ist dem Betreiber des Postshops wohl bewusst, dass gerade in Heimfeld viele Senioren und Behinderte leben. Er hat deshalb eine handliche mobile Rampe beschafft, die sich zum Höhenausgleich anlegen lässt. Dabei ist sie nur etwa eine Armlänge auf dem dort sehr breiten Gehweg, so dass sie niemandem im Wege ist. So kann Oma ihrem Enkel problemlos Päckchen zu Ostern schicken und alle sind glücklich.

Wäre dort nicht die Verwaltung Harburg. Da Inklusion keinesfalls in eigener Verantwortung mit pragmatischen Lösungen aus der Bevölkerung erfolgen darf, hat man sicherheitshalber direkt mal eine Ordnungsstrafe erlassen. Der Betreiber hatte die Rampe schließlich auf dem Hochheiligsten aller kommunalen Schreibtischsheriffs platziert: Der öffentlichen Wegfläche. Ohne Genehmigung!

Letztere ist mittlerweile angefragt, da sich der Betreiber des Postshops zum Glück von dieser Schildbürgerposse nicht hat entmutigen lassen. Anders als beim Ausleben der eigenen Borniertheit lässt sich der Bezirk Harburg bei der Antwort darauf allerdings Zeit. Warum sollten Rollstuhlfahrer denn auch allein und ohne Hilfe in die Post kommen dürfen? Das will zunächst auf das Allergründlichste geprüft sein.

Was bleibt ist eine sehr traurige Erkenntnis: Gewerbetreibende, die auf eigene Kosten Barrierefreiheit herstellen, werden nicht nur aktiv daran gehindert, sondern auch noch für den Versuch bestraft. Parallel dazu rufen Sozialverbände zu Demos auf, um Unternehmen gesetzlich genau zu dem zu verpflichten, was sie freiwillig nicht sollen. Als Betroffener weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Staatlicher Paternalismus und überbordende Regelungswut hindert Menschen wie in diesem Beispiel daran, sinnvolle Lösungen im Alltag zu finden.

Dabei wäre es doch ganz einfach: Jede Kommune hat es in der Hand, mit entsprechenden Regelungen erforderliche Rampen auch auf Gehwegen grundsätzlich zu erlauben. Einschränkungen dort, wo es tatsächlich eine Gefährdung für Fußgänger gibt. Die sollten dann allerdings zunächst nicht mit Strafen, sondern konkreten Anregungen für eine konforme Gestaltung durchgesetzt werden. Wenn dann nichts passiert, kann man immer noch zur Strafe greifen. Alles, was dazu nötig wäre, ist eine Prise guter Wille.

Verkehrskollaps mit Ansage

Der Bezirk Harburg und die beiden benachbarten Landkreise kommen zusammen auf 600 000 Einwohner. Ein großer Teil der Berufstätigen, aber auch Schüler und Studenten unter diesen pendelt täglich über die Elbe. Der ÖPNV erfreut sich dabei größter Beliebtheit, zumal der rot-grüne Senat mit irrwitzigen Fahrverbot-Eskapaden und Kahlschlag bei Parkplätzen Autofahrer zunehmend aus den Stadtgrenzen zu verbannen sucht. Das Ergebnis zeigt sich auch an der konstanten Überlastung der S-Bahn Linien S3 und S31, in der man sich zu Stoßzeiten ganz wie die Sardine in der Büchse fühlen darf. Ein Sitzplatz ist der seltene Luxus, in dessen Genuss man höchstens beim Zustieg in der niedersächsischen Provinz zwischen Buxtehude und Stade kommt. Der tägliche Wahnsinn und der störrische Norddeutsche trotzt dieser Widrigkeit des Alltags wie dem Hamburger Schietwetter oder Heimspielen des HSV.

Doch dieser Tage wird auch der stoischste Harburger um seine Ruhe gebracht. Denn die Hamburger S-Bahn baut. Und wie! Jahrzehnte versäumter Sanierungsarbeiten werden in kürzester Zeit nachgeholt. Der gemeine Berufspendler erfährt dies ganz leibhaftig – in Form des Ersatzverkehrs. Nun ist ein Ersatz eigentlich dazu gedacht, eine Funktion in ähnlicher Weise zu erfüllen wie das Original. Dass dies nicht in allen Fällen gelingt, kann mancher am Beispiel von als “Fleischersatz” deklarierten Tofu-Kreationen nachvollziehen. Im Falle des Ersatzverkehrs in Harburg allerdings verhält es sich dieser Tage wie ein Klumpen Sägemehl zum Rumpsteak:

Abgeranzte Bussen mit aufgrund Platzmangels an die Fensterscheiben gequetschter Menschen drängeln sich durch den zum Erliegen gekommenen Verkehr im Harburger Ring. Der völlig überlastete Busbahnhof ist kaum zu erkennen, weil Busse in dritter Reihe stehend, von Menschenmassen umströmt, minutenlang auf die Lücke im Berufsverkehr warten. Einige verloren wirkende Figuren in gelben S-Bahn-Westen entschuldigen sich verzweifelt in alle Richtungen und ringen um die eigene Contenance angesichts des gerechten Zorns derer, die ihren täglichen Arbeitsweg unfreiwillig um eine halbe Stunde verlängert erleben. Pro Strecke. Als Ausgleich gab es am letzten Freitag nach zwei Wochen ÖPNV-Vorhölle kostenlose Ingwer-Shots von der S-Bahn Hamburg. Wohl bekomm’s. An den nächsten drei Wochenenden ist übrigens wieder Ersatzverkehr.

Harburg stöhnt – es geht nicht mehr:

Schluss mit dem Ersatzverkehr!

Konkret brauchen die Harburger und die südliche Metropolregion für die Zukunft dreierlei:

  1. Streckung von Baustellenzeiten – innerhalb der Betriebszeiten müssen die Ausfallzeiten drastisch minimiert werden. Insbesondere großflächige Streckensperrungen zur Modernisierung einzelner Haltestellen sind nicht akzeptabel. Die S-Bahn braucht hier ein Konzept zur Durchführung der Arbeiten in Abschnitten während der Betriebsruhe oder zumindest über Durchfahrten an der von der Modernisierung betroffenen Station.
  2. Erweiterung der Buskapazitäten – der Harburger Busbahnhof platzt schon unter normalen Umständen aus allen Nähten. Dass hier zu Stoßzeiten teils noch vier oder fünf zusätzliche Gelenkbusse des Ersatzverkehrs halten, bringt den Verkehr um den Bahnhof absehbar zum Erliegen. Hier muss endlich die Modernisierung auf den Weg gebracht und auch dringend alternative Routen für die vollkommen überlastete Strecke von Moorstraße über den Harburger Ring genutzt werden.
  3. Bessere Koordination – vom Baustellen-Chaos im Sommer als die S-Bahn die angekündigten Straßenbauarbeiten geflissentlich ignorierte bis hin zu Kleinigkeiten wie den Zügen in Neugraben, die ohnehin nur auf einem Gleis verkehrend natürlich nicht direkt an der Bushaltestelle, sondern mit notwendigem Umweg über zwei Treppen hielten: Es gelingt den Verantwortlichen regelmäßig nicht, die Einschränkungen wenigstens zu begrenzen. Hier braucht es mehr Blick für den Fahrgast und das große Ganze.

Subsidiarität in der Metropole

Auf dem gestrigen Landesparteitag der Freien Demokraten in Hamburg wurde ein gemeinsames Rahmenprogramm für die Bezirkswahlen im nächsten Jahr intensiv debattiert und einige Änderungen im Detail beschlossen. Keinen Widerspruch gab es gegen den Leitgedanken einer Stärkung der einzelnen Bezirke gegenüber dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Das ist insofern eine bemerkenswerte Entwicklung als dass hier der Grundstein für eine Legislaturperioden-übergreifende Idee der stärkeren Dezentralisierung von Regierungsaufgaben gelegt wurde, die die FDP Hamburg nun auch in den 2020 anstehenden Landeswahlen vertreten wird.

Das Prinzip der Subsidiarität – also Probleme immer immer auf der niedrigsten Ebene zu lösen, auf der das möglich ist – hat sich gerade in der Geschichte Deutschlands bewährt.  Nur so gelang die Überwindung der Kleinstaaterei zu einer föderalen Bundesrepublik. Dass in Berlin nicht darüber entschieden werden muss, wo in Buxtehude ein neuer Fußweg gebaut wird, schafft staatliche Institutionen mit Bürgernähe und führt nachweislich zu besseren Entscheidungen, auch in der Übertragung des Prinzips auf Unternehmen.

In der aktuellen kommunalen Struktur Hamburgs allerdings ist dieses Prinzip nur sehr unzureichend abgebildet. Die Bezirksversammlungen haben im Wesentlichen eine nur sehr abstrakte Kontrolle über die Bezirksverwaltung und wenig Gestaltungsspielräume. Das zeigte sich beispielsweise in der kürzlich eskalierten Baustellensituation in Heimfeld: Statt die Interessen der Anlieger tatsächlich zu berücksichtigen, musste erst eine Intervention bei der Verkehrsbehörde auf Landesebene erfolgen, damit aus einer wochenlangen Vollsperrung einer wichtigen Verkehrsader mehrere Bauabschnitte wurden. So sehr es zwar zu begrüßen ist, dass Herr Rieckhoff an dieser Stelle zumindest eine gewisse Verbesserung der Situation erreichen konnte – man darf allerdings davon ausgehen, dass Senat, Bürgerschaft und die Verkehrsbehörden anderes zu haben als sich mit der Detailplanung von Straßenarbeiten in einem Stadtteil zu befassen.

Mit dem kommunalen Rahmenprogramm trägt die FDP ab 2019 das übergreifende Konzept stärkerer Selbstverwaltung in die einzelnen Bezirke. Es wäre wünschenswert, wenn sich der Stärkung des Subsidiaritätsprinzip weitere Parteien anschließen und die konkrete Ausgestaltung im Jahr 2020 in einer entsprechenden Koalition angegangen werden kann. So kann Hamburg zur Referenz für erfolgreiche kommunale Selbstverwaltung in einer Metropole werden.

Hamburger Aufzug-Verwirrungskarten

Ob mit Rollstuhl, Kinderwagen oder schwerem Gepäck: Für die meisten Stationen der S- und U-Bahn in Hamburg sind täglich viele Menschen auf funktionierende Aufzüge angewiesen. Es liegt in der Natur technischer Anlagen, dass diese nicht rund um die Uhr wartungs- und ausfallfrei funktionieren. Wer von einem Defekt weiß, fährt einen Umweg und plant entsprechend mehr Zeit ein. Um an dieses wertvolle Wissen zu gelangen, empfiehlt der Hamburger Verkehrsverbund HVV seine schicke Karte. Auf dieser finden Nahverkehrsnutzer schön übersichtlich viele (nicht alle) Aufzüge an den Stationen mit Betriebszustand in einer Farb- und Symbolkennzeichnung. Das ist eine super Idee. Wenn sie nur nicht so dilettantisch umgesetzt wäre.

Wer einmal die Seite von einem Smartphone aus aufgerufen hat, braucht entweder eine Lupe oder viel Ausdauer beim Herumschieben. Vermutlich deshalb wird sie auf der mobilen Seite auch gar nicht erst angeboten. Dabei ist der mobile Zugriff sicherlich mit Abstand das häufigste Nutzungsszenario. Auch für einen Sehbehinderten ist die Darstellung als rein visuelle Information auf einer schematischen Netzkarte vermutlich nur bedingt geeignet. Dass es besser geht, kann man sich bei BrokenLifts.org ansehen. Ohne Karte, dafür funktional und von jedem überall nutzbar. Digitalisierung kann so einfach sein. Das ist aber letztlich alles Makulatur. Denn das größte Problem der Aufzugkarte des HVV ist ein anderes:

Die Anzeige für die Stationen der S-Bahn ist so zuverlässig wie die Wettervorhersage zwei Wochen im Voraus. Selbst wenn schon jemand einen Zettel an den Aufzug geklebt hat, dass die Reparatur in zwei Wochen erfolgt, strahlt die Haltestelle beim HVV in fröhlichem grün. Umgekehrt genauso. Über Tage und teilweise Wochen wird der Betriebszustand nicht aktualisiert. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Außendienstmitarbeiter der S-Bahn Hamburg diese Informationen per Flaschenpost an ein Rechenzentrum elbabwärts übermitteln. 

Wissen Sie was richtig lustig ist? Nach einem anstrengenden Zehn-Stunden-Tag und in großer Vorfreude auf ein warmes Essen im Kreis der Familie aus der S-Bahn auszusteigen, in Gedanken versunken zum Aufzug zu fahren und dann das verräterische rote Leuchten der “Außer Betrieb”-Anzeige zu sehen. Während die Erkenntnis langsam in das müde Hirn einsickert, dass aus drei Viertelstunden Heimweg nun fünf Viertelstunden werden, weil die Bahn in die Gegenrichtung gerade entschwunden und ein 200 Kilogramm schwerer E-Rollstuhl auch nicht anderweitig transportabel ist, kommt ein fröhlich-hilfsbereiter Zeitgenosse vorbei. Er erfasst die Situation sofort und kommentiert: “Der Aufzug ist kaputt, glaube ich.” Das ist richtig lustig.

Wenn aber nun die Mitarbeiter der 3S-Zentrale Hamburg, die jederzeit akkurat über sämtliche Aufzüge und deren Betriebszustand telefonisch Auskunft erteilen, ihr Wissen freundlicherweise unmittelbar in das IT-System des HVV eingeben würden, hätten wir drei Dinge erreicht: Die bestimmt für teures Geld aus öffentlicher Hand finanzierte Web-Anwendung wäre erstens endlich sinnvoll benutzbar. Zum zweiten haben die Mitarbeiter der 3S-Zentrale wieder Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben, weil sie nicht ständig ans Telefon müssen, um einzelnen Personen Auskunft über Aufzüge zu erteilen. Schließlich und drittens könnte ich im Zweifel einfach eine Station früher aussteigen und mein Abendessen warm zu mir nehmen. Das wäre zwar nicht so lustig aber doch irgendwie schön.