Einen großen Aufschrei zog die Veröffentlichung eines Meinungsstücks des AfD-Vorsitzenden Gauland in der ehrwürdigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach sich. Von Vertretern eines klar linken Milieus auf Twitter, für die die FAZ selbst an besseren Tagen eigentlich nur ein auf intellektuell getrimmtes Propaganda-Blättchen für böse Konservative ist, kommt scharfe Kritik: Mit dieser Veröffentlichung legitimiere man den Rechtsradikalismus der AfD! Es entstünde gar der Eindruck, dass diese Partei gesellschaftlich akzeptiert sei.
Nun darf man einer Partei, die an der Seite von Straftätern wie Lutz Bachmann “Trauermärsche” vollzieht, in deren Windschatten sich Neonazis tummeln und Ausländer durch die Straße jagen, mit Fug und Recht eine gewisse Entfremdung zum freiheitlich-demokratischen Konsens unserer Gesellschaft attestieren. Herr Gauland reitet auf und orchestriert sehenden Auges diese Welle von Verfassungsfeinden, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen “Systemwechsel“. Die AfD ist von rechtsradikalen Strukturen durchwuchert und man muss es Alexander Gauland persönlich zum Vorwurf machen, dass er diese Kräfte in seiner Partei gewähren lässt. So weit, so richtig. Muss man diesem Mann also eine Bühne geben? Nein. Aber es gibt auch keinen zwingenden Grund, es nicht zu tun.
Die FAZ publizierte nämlich schon Texte manch kontroverser Persönlichkeit, wie zuletzt des türkischen Autokraten Erdogan, der deutsche Journalisten unter windigen Ausreden in seine Gefängnisse wirft, um sie als politisches Faustpfand zu missbrauchen. Man könnte also auf den Gedanken kommen, dass es durchaus konsequent ist, Herrn Gauland an gleicher Stelle zu Wort kommen zu lassen. Schließlich legen seine Äußerungen nahe, dass er in Deutschland gerne ähnlich mit missliebigen Meinungen verfahren würde.
Doch was hat er uns zu sagen, dieser Mann des Tabubruchs und enfant terrible unter den deutschen Parteivorsitzenden? Nun, zunächst unternimmt er einen kleinen Exkurs in die Definition des Populismusbegriffs, um schließlich zu konstatieren, dass die AfD selbstverständlich keinen Alleinvertretungsanspruch für “das Volk” habe und demokratische Prozesse respektiere. Dass diese Aussage im krassen Widerspruch zum Auftreten diverser AfD-Politiker steht, geschenkt. Aber Gauland führt nicht eine einzige argumentative Unterfütterung für diesen Punkt an – er behauptet einfach, dass es so sei. Und hofft vielleicht, dass seine langatmige Hinleitung darüber hinwegtäuscht.
Im weiteren Verlauf brüht der Mann dann eine völlig beliebige Eliten-Kritik nach vorhersehbarem Muster auf, die er an der digitalen Boheme und urbanem Leben festmacht, zu dem angeblich der Zugang für viele versperrt sei. Inwiefern das Erlernen einer Fremdsprache, der Umzug in eine Großstadt oder das Benutzen von Alltags-Technologie nun eine andere Hürde darstellt als andere grundsätzliche Entscheidungen und Handlungen im Leben eines selbstbestimmten Erwachsenen? Die Antwort bleibt Gauland uns schuldig. Ebenso gut hätte er kritisieren können, dass nicht jeder Deutsche ohne eigenes Zutun einen Partner fürs Leben findet oder fünf Orangen gleichzeitig jonglieren kann. Die glücklich verheirateten Orangenjongleure wären wenigstens – anders als “Globalisten” – kein bekanntes Chiffre für die ewigen Klischees der jüdischen Weltverschwörung. Ob beabsichtigt oder nicht: Der schale Beigeschmack der Begriffswelten der “alt right” bzw. neuen Rechten macht aus der Beliebigkeit Gaulands futterneidender Eliten-Kritik eine durch und durch unappetitliche Angelegenheit.
Zum Schluss zieht der AfD-Vorsitzende noch einmal alle Register der Demokratie-Buzzwords: Freiheit, Rechtsstaat, soziale Sicherheit – diese seien durch das Weltbürgertum bedroht. Vermutlich hielt er es für einen findigen Kniff, den fundamentalen Egoismus seiner Bewegung anzuerkennen, um dann den seiner aus billigen Klischees zusammengestoppelten Feindbilder als viel perfider darzustellen. Warum das so ist? Wieder unklar.
Die Probleme, die mit der Migration einher gehen, sind unstrittig. Sie zu lösen, ist eine große Aufgabe, vor der insbesondere die CDU-geführte Regierung viel zu lange die Augen verschlossen und einen schlanken Fuß gemacht hat. Es stimmt, dass radikale Islamisten unsere Gesellschaft ebenso bedrohen wie Links- oder Rechtsextremisten. Das sind alles Dinge, über die es gleichzeitig zu keinem Zeitpunkt in den letzten vier Jahren ein Denk- oder Sprechverbot gab, wie sich an den zahlreichen kontroversen Äußerungen zu diesen Themen dokumentieren lässt. Die Unzufriedenheit eines Alexander Gauland, dass seine Sicht und die seiner Wähler so offensichtlich nicht mehrheitsfähig ist, nun in eine Neid-Debatte über “Eliten” zu rühren, deren Zugehörigkeit auf freie Entscheidung über den eigenen Lebensweg gründet, zeichnet ein bekanntes Bild vom Frontmann der AfD:
Wie zuletzt in seinem inhaltsleeren Sommerinterview zu beobachten, spricht dort ein abgehalfterter, ideenloser Konservativer. Er hat keine Lösungen und auch sonst scheinen ihn die wirklichen Probleme unserer Zeit zu überfordern, weshalb er ihre Prämissen infrage stellt. Globalisierung und Digitalisierung lassen sich allerdings ebenso wenig im Bundestag aus der Realität verbannen wie der Klimawandel oder der Regen in der Heimat an einem Sonntag im Herbst. Dass es ihm nicht einmal gelingt, in der Schriftform einen wirklich klaren Leitgedanken zu fassen und es gerade mal zu einer lauen Beschwörung eines Wir-Gegen-Die reicht, ist das gedruckte Zeugnis der politischen Insolvenz des Alexander Gauland und seiner Partei. Insofern darf man sich bei der FAZ für den Druck bedanken. Und sie ein bisschen bemitleiden. Denn so einen schlechten Text hat diese Zeitung nicht verdient. Das sollte man sogar als taz-Abonnent anerkennen können.