Der Bezirk Harburg und die beiden benachbarten Landkreise kommen zusammen auf 600 000 Einwohner. Ein großer Teil der Berufstätigen, aber auch Schüler und Studenten unter diesen pendelt täglich über die Elbe. Der ÖPNV erfreut sich dabei größter Beliebtheit, zumal der rot-grüne Senat mit irrwitzigen Fahrverbot-Eskapaden und Kahlschlag bei Parkplätzen Autofahrer zunehmend aus den Stadtgrenzen zu verbannen sucht. Das Ergebnis zeigt sich auch an der konstanten Überlastung der S-Bahn Linien S3 und S31, in der man sich zu Stoßzeiten ganz wie die Sardine in der Büchse fühlen darf. Ein Sitzplatz ist der seltene Luxus, in dessen Genuss man höchstens beim Zustieg in der niedersächsischen Provinz zwischen Buxtehude und Stade kommt. Der tägliche Wahnsinn und der störrische Norddeutsche trotzt dieser Widrigkeit des Alltags wie dem Hamburger Schietwetter oder Heimspielen des HSV.
Doch dieser Tage wird auch der stoischste Harburger um seine Ruhe gebracht. Denn die Hamburger S-Bahn baut. Und wie! Jahrzehnte versäumter Sanierungsarbeiten werden in kürzester Zeit nachgeholt. Der gemeine Berufspendler erfährt dies ganz leibhaftig – in Form des Ersatzverkehrs. Nun ist ein Ersatz eigentlich dazu gedacht, eine Funktion in ähnlicher Weise zu erfüllen wie das Original. Dass dies nicht in allen Fällen gelingt, kann mancher am Beispiel von als “Fleischersatz” deklarierten Tofu-Kreationen nachvollziehen. Im Falle des Ersatzverkehrs in Harburg allerdings verhält es sich dieser Tage wie ein Klumpen Sägemehl zum Rumpsteak:
Abgeranzte Bussen mit aufgrund Platzmangels an die Fensterscheiben gequetschter Menschen drängeln sich durch den zum Erliegen gekommenen Verkehr im Harburger Ring. Der völlig überlastete Busbahnhof ist kaum zu erkennen, weil Busse in dritter Reihe stehend, von Menschenmassen umströmt, minutenlang auf die Lücke im Berufsverkehr warten. Einige verloren wirkende Figuren in gelben S-Bahn-Westen entschuldigen sich verzweifelt in alle Richtungen und ringen um die eigene Contenance angesichts des gerechten Zorns derer, die ihren täglichen Arbeitsweg unfreiwillig um eine halbe Stunde verlängert erleben. Pro Strecke. Als Ausgleich gab es am letzten Freitag nach zwei Wochen ÖPNV-Vorhölle kostenlose Ingwer-Shots von der S-Bahn Hamburg. Wohl bekomm’s. An den nächsten drei Wochenenden ist übrigens wieder Ersatzverkehr.
Harburg stöhnt – es geht nicht mehr:
Schluss mit dem Ersatzverkehr!
Konkret brauchen die Harburger und die südliche Metropolregion für die Zukunft dreierlei:
- Streckung von Baustellenzeiten – innerhalb der Betriebszeiten müssen die Ausfallzeiten drastisch minimiert werden. Insbesondere großflächige Streckensperrungen zur Modernisierung einzelner Haltestellen sind nicht akzeptabel. Die S-Bahn braucht hier ein Konzept zur Durchführung der Arbeiten in Abschnitten während der Betriebsruhe oder zumindest über Durchfahrten an der von der Modernisierung betroffenen Station.
- Erweiterung der Buskapazitäten – der Harburger Busbahnhof platzt schon unter normalen Umständen aus allen Nähten. Dass hier zu Stoßzeiten teils noch vier oder fünf zusätzliche Gelenkbusse des Ersatzverkehrs halten, bringt den Verkehr um den Bahnhof absehbar zum Erliegen. Hier muss endlich die Modernisierung auf den Weg gebracht und auch dringend alternative Routen für die vollkommen überlastete Strecke von Moorstraße über den Harburger Ring genutzt werden.
- Bessere Koordination – vom Baustellen-Chaos im Sommer als die S-Bahn die angekündigten Straßenbauarbeiten geflissentlich ignorierte bis hin zu Kleinigkeiten wie den Zügen in Neugraben, die ohnehin nur auf einem Gleis verkehrend natürlich nicht direkt an der Bushaltestelle, sondern mit notwendigem Umweg über zwei Treppen hielten: Es gelingt den Verantwortlichen regelmäßig nicht, die Einschränkungen wenigstens zu begrenzen. Hier braucht es mehr Blick für den Fahrgast und das große Ganze.