Fridays for Tempolimit

Die Diskussion über das von den Grünen wieder mal aufs Tapet gebrachte Tempolimit wird mit einer ähnlichen Irrationalität geführt wie die Debatten über Waffengesetze in den USA. Auf der einen Seite wird ein Bild von rücksichtslosen Asphaltbarbaren kultiviert, die jenseits einer irgendwie vom Himmel gefallenen Grenzgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern automatisch die Kontrolle über ihr Leben verlieren. Auf der anderen Seite assoziiert man allein den Gedanken an reduzierte Geschwindigkeit mindestens mit der persönlichen Deportation ins Erziehungslager. Ein bisschen nüchtern betrachtet haben auf individueller Ebene beide Seiten gute Argument ins Feld geführt und das Thema wurde in Deutschland des Langen und des Breiten diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass “Freie Bürger, freie Fahrt” bis zuletzt noch ein etwas abgedroschener, aber doch konsensfähiger Leitspruch deutscher Verkehrspolitik war.

Es tritt auf die Bühne: Die Klimakrise. Auf dem Rücken Greta Thunbergs – der man, wenn schon nicht ihre Inhalte, mindestens zugute halten muss, eine ganze Generation politisiert zu haben – formieren sich nun allerlei bekannte Interessengruppen neu. Die Befürchtung, dass dort linksradikale Kräfte als Trittbrettfahrer auftreten ist nicht ganz abwegig. Dazu muss man sich nur einmal die offen postulierte Ablehnung einer bestehenden Rechtsordnung durch Extinction Rebellion ansehen, die sich nicht wesentlich von den üblichen Verlautbarungen z.B. aus der Roten Flora in Hamburg unterscheiden. Auch im rechten Spektrum dient Umwelt und Klima als Absprungbrett, um völkische Reinheitsfantasien zu postulieren. Dieses Hineinrühren von Ideologien schadet dem eigentlichen Anliegen, das so verwässert und angreifbar wird. Für einen zivilgesellschaftlich breit unterstützen Klimaschutz müssen sich die Bewegungen klar von politischen Extremen abgrenzen.

Ähnliches gilt für das Tempolimit. Dieses mit dem Klimaschutz zu verweben, erscheint als Versuch, auf den anrollenden FridaysForFuture-Zug aufzuspringen. Warum? Dazu muss man sich zunächst mit Fakten beschäftigen, die es zu diesem Thema durchaus gibt. Zum Beispiel seriöse Berechnungen zum voraussichtlichen Effekt eines 130er-Tempolimits auf der deutschen Autobahn. Eine Näherung geht von einem Einsparungspotenzial von 2 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus:

Zu einer seriösen Betrachtung der groß erscheinenden Zahl muss man sie allerdings in Relation betrachten: Es handelt sich um 2% der Emissionen im PKW-Verkehr. Die Zahlen des Umweltbundesamtes belegen: Im Jahr 2017 wären 2 Mio t etwa 1,2% des Gesamtausstoßes für Straßenverkehr oder 0,2% der insgesamt 900 Mio t CO2-Ausstoß. Selbst als Verfechter des Prinzips “Kleinvieh macht auch Mist” lässt diese Betrachtung nur einen Schluss zu: Wer ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen als zentralen Baustein für Klimaschutz anpreist, betreibt Augenwischerei. Der mögliche Effekt ist marginal – was kein Grund dagegen ist, es zu tun. Allerdings auch beileibe kein zwingender Grund dafür. Die Mitstreiter von Fridays For Future täten gut daran, sich nicht von ein paar grünen Fundis als Fridays For Tempolimit vereinnahmen zu lassen.

Die Diskussion zum Tempolimit sollte deshalb unbedingt auf breiterer Basis geführt werden. Ein Experiment in Österreich mit Tempo 140 deutet zum Beispiel sogar positive Effekte höherer Geschwindigkeiten an – geringere Unfallzahlen für ein wenig mehr CO2. Solche Möglichkeiten zu nutzen verbauen wir uns mit der isolierten Betrachtung von Einzelmaßnahmen im Klimaschutz. Gäbe es nämlich an anderer Stelle ein deutlich höheres Einsparpotenzial – wie beispielsweise im deutschen Emissionsspitzenreiter, dem Energiesektor – könnten wir dieses zuerst realisieren, den Ausstoß insgesamt reduzieren und trotzdem von mehr Verkehrssicherheit profitieren, während die zunehmende Verbreitung emissionsarmer Antriebsarten für weitere Reduktion im Straßenverkehr sorgt.

Der Klimawandel ist real, wissenschaftlich sehr fundiert belegt und daher ist Handeln geboten. Dass Deutschland die Pariser Klimaziele nicht erreichen wird, verdeutlicht wie wenig erfolgreich die Politik der großen Koalition dafür die Weichen gestellt hat. Daher ist die Frustration vieler junger Menschen vollkommen verständlich. Und eins ist klar: Verständnis allein wird das Problem nicht lösen. Genausowenig wird das aber ein Flickenteppich kleinteiligster Maßnahmen, in denen Ideologen auf einen Klimaschutz-Zug aufspringen, um damit neue Mitstreiter für ihre bisher nicht konsensfähigen Partikularinteressen zu rekrutieren.

Einen überzeugenden Masterplan für Klimaschutz hat scheinbar auch die “Klima-Kanzlerin” nicht in der Tasche. Die FDP hat einen deutlich verlässlicheren, weil im Ergebnis klaren Vorschlag mit einem harten CO2-Deckel auf den Tisch gelegt. Ob auf diesem oder einem anderen Weg, Klimaschutz muss gebündelt und geordnet mit der nötigen Konsequenz erfolgen. Dazu müssen wir uns endlich vom Klein-Klein der Inlandsflüge und Tempolimits lösen, ein gemeinsames Ziel für alle verbindlich festschreiben und anfangen. Zum Beispiel über die Verknappung von Emissionszertifikaten, die dann in der Breite und nicht nur für marginale Anteile der Emissionen wirksam sind.

Verkehrskollaps mit Ansage

Der Bezirk Harburg und die beiden benachbarten Landkreise kommen zusammen auf 600 000 Einwohner. Ein großer Teil der Berufstätigen, aber auch Schüler und Studenten unter diesen pendelt täglich über die Elbe. Der ÖPNV erfreut sich dabei größter Beliebtheit, zumal der rot-grüne Senat mit irrwitzigen Fahrverbot-Eskapaden und Kahlschlag bei Parkplätzen Autofahrer zunehmend aus den Stadtgrenzen zu verbannen sucht. Das Ergebnis zeigt sich auch an der konstanten Überlastung der S-Bahn Linien S3 und S31, in der man sich zu Stoßzeiten ganz wie die Sardine in der Büchse fühlen darf. Ein Sitzplatz ist der seltene Luxus, in dessen Genuss man höchstens beim Zustieg in der niedersächsischen Provinz zwischen Buxtehude und Stade kommt. Der tägliche Wahnsinn und der störrische Norddeutsche trotzt dieser Widrigkeit des Alltags wie dem Hamburger Schietwetter oder Heimspielen des HSV.

Doch dieser Tage wird auch der stoischste Harburger um seine Ruhe gebracht. Denn die Hamburger S-Bahn baut. Und wie! Jahrzehnte versäumter Sanierungsarbeiten werden in kürzester Zeit nachgeholt. Der gemeine Berufspendler erfährt dies ganz leibhaftig – in Form des Ersatzverkehrs. Nun ist ein Ersatz eigentlich dazu gedacht, eine Funktion in ähnlicher Weise zu erfüllen wie das Original. Dass dies nicht in allen Fällen gelingt, kann mancher am Beispiel von als “Fleischersatz” deklarierten Tofu-Kreationen nachvollziehen. Im Falle des Ersatzverkehrs in Harburg allerdings verhält es sich dieser Tage wie ein Klumpen Sägemehl zum Rumpsteak:

Abgeranzte Bussen mit aufgrund Platzmangels an die Fensterscheiben gequetschter Menschen drängeln sich durch den zum Erliegen gekommenen Verkehr im Harburger Ring. Der völlig überlastete Busbahnhof ist kaum zu erkennen, weil Busse in dritter Reihe stehend, von Menschenmassen umströmt, minutenlang auf die Lücke im Berufsverkehr warten. Einige verloren wirkende Figuren in gelben S-Bahn-Westen entschuldigen sich verzweifelt in alle Richtungen und ringen um die eigene Contenance angesichts des gerechten Zorns derer, die ihren täglichen Arbeitsweg unfreiwillig um eine halbe Stunde verlängert erleben. Pro Strecke. Als Ausgleich gab es am letzten Freitag nach zwei Wochen ÖPNV-Vorhölle kostenlose Ingwer-Shots von der S-Bahn Hamburg. Wohl bekomm’s. An den nächsten drei Wochenenden ist übrigens wieder Ersatzverkehr.

Harburg stöhnt – es geht nicht mehr:

Schluss mit dem Ersatzverkehr!

Konkret brauchen die Harburger und die südliche Metropolregion für die Zukunft dreierlei:

  1. Streckung von Baustellenzeiten – innerhalb der Betriebszeiten müssen die Ausfallzeiten drastisch minimiert werden. Insbesondere großflächige Streckensperrungen zur Modernisierung einzelner Haltestellen sind nicht akzeptabel. Die S-Bahn braucht hier ein Konzept zur Durchführung der Arbeiten in Abschnitten während der Betriebsruhe oder zumindest über Durchfahrten an der von der Modernisierung betroffenen Station.
  2. Erweiterung der Buskapazitäten – der Harburger Busbahnhof platzt schon unter normalen Umständen aus allen Nähten. Dass hier zu Stoßzeiten teils noch vier oder fünf zusätzliche Gelenkbusse des Ersatzverkehrs halten, bringt den Verkehr um den Bahnhof absehbar zum Erliegen. Hier muss endlich die Modernisierung auf den Weg gebracht und auch dringend alternative Routen für die vollkommen überlastete Strecke von Moorstraße über den Harburger Ring genutzt werden.
  3. Bessere Koordination – vom Baustellen-Chaos im Sommer als die S-Bahn die angekündigten Straßenbauarbeiten geflissentlich ignorierte bis hin zu Kleinigkeiten wie den Zügen in Neugraben, die ohnehin nur auf einem Gleis verkehrend natürlich nicht direkt an der Bushaltestelle, sondern mit notwendigem Umweg über zwei Treppen hielten: Es gelingt den Verantwortlichen regelmäßig nicht, die Einschränkungen wenigstens zu begrenzen. Hier braucht es mehr Blick für den Fahrgast und das große Ganze.